"Papier - mein Instrument" mit dem Ensemble Phoenix Basel

Wie klingt meine Zeichnung? Habe ich laut oder leise gemalt? Wieso «tönt» meine Druckgrafik in blau anders als in rot? Diesen und weiteren Fragen sind die Kinder der Druckstelle zusammen mit den Musiker_innen* des Ensemble Phoenix Basel während der Herbstferienwoche 2019 nachgegangen. Die Kinder haben dabei die Rolle von Komponisten übernommen und ihre klanglichen Vorstellungen in Form grafischer Partituren zu Papier gebracht. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung sind vielfältige Kompositionen, die durch das Ensemble Phoenix Basel in einem Konzert uraufgeführt wurden.

Im Projekt «Papier, mein Instrument» fanden sich das Ensemble Phoenix Basel und die Druckstelle erstmals für eine Zusammenarbeit. Die Ausgangslage glich dabei einem Experiment: Zwei in ihrem Tun und ihrer Struktur sehr unterschiedliche Formationen – ein Ensemble für Zeitgenössische Musik und eine Druck- und Schreibwerkstatt für Kinder und Jugendliche – gehen während einer Woche eine synergetische Verbindung ein. Als Kernfrage stellte sich in diesem Fall: Was kommt dabei heraus, wenn ein Ensemble für Neue Musik grafische Partituren spielt, welche Kinder mittels experimenteller Drucktechniken entwickeln? Ein gemeinsam erarbeitetes Konzert zum Abschluss soll darüber Aufschluss geben.

Unwägbarkeiten, wie sie bei jedem Experiment vorkommen, schienen in dieser doch ungewöhnlichen und komplexen Konstellation erheblich zu sein. Etliche nicht beantwortbare Fragen standen schon in der Planung gewichtig im Raum: Werden die Kinder einen Zugang zur Neuen Musik finden? Wie reagieren sie auf die professionellen Musiker, die in ihre Welt «eindringen»? Was passiert, wenn sie, anstatt zu komponieren, selber Instrumente spielen wollen? Wie ist eine kontinuierlich «zielgerichtete » Arbeit denkbar, wenn, wie in der Druckstelle üblich, an jedem Tag wieder andere Kinder kommen?

Die Besucher dieses besonderen Ortes sind es gewohnt, frei an eigenen Dingen zu arbeiten, in einem ergebnisoffenen Prozess, der zu etwas führen kann, aber nicht muss. Und nun stehen plötzlich sechs Erwachsene im Raum und am Horizont ein Konzert, das vor einer Öffentlichkeit standhalten muss. Um den verschiedenen Ansprüchen, Bedürfnissen und Erwartungen gerecht zu werden, bedurfte es einer sensiblen und beweglichen Arbeitsweise, mit offenem Auge, Ohr und Geist für künstlerische, musikalische und soziale Prozesse.

Das Zusammenspiel aller Teilnehmenden glich einer gewagten Improvisationsübung, in welcher die Kinder, Musiker und Vermittler in wechselseitiger Weise aufeinander reagierten: Ein Anfang, eine Zeichnung – eine aufs Papier geworfene Geste vielleicht – Anlass zu einer unmittelbaren und spontanen musikalischen Umsetzung; dann ein Stocken, ein neuer Lösungsansatz wäre vonnöten: Eine Umformulierung als Druckgrafik gibt einen Impuls und bringt die Idee neu in Schwung. Schlagartig nun «zu» viel kreative Energie im Raum. Individuelle Zurücknahme und intensives Zuhören seitens der Verantwortlichen kanalisieren und flankieren den Prozess zu einem hörenswerten Ergebnis. Dass sich die ureigenen musikalischen Grund-Qualitäten wie das Zuhören an sich oder die Wahl des richtigen Zeitpunkts unmittelbar auf das Feld der Kunstvermittlung übertragen lassen, ist zwar einleuchtend, fand in diesem Projekt aber eine eindrucksvolle Bestätigung.

Auf gestalterischer Ebene erwiesen sich der Hoch- und Tiefdruck, die Monotypie und der Stempeldruck als äusserst vielfältige und ergiebige Techniken, die klanglichen Vorstellungen der Kinder zu realisieren. Die besondere Eigenschaft eines Tetra Pak-Druckes etwa, der auch bei wenigen Strichen eine gestalterische Dichte entstehen lässt, eignete sich gut für schnelle, aber den- Wie klingt meine Zeichnung? Habe ich laut oder leise gemalt? Wieso «tönt» meine Druckgrafik in blau anders als in rot? Diesen und weiteren Fragen sind die Kinder der Druckstelle zusammen mit den Musiker_innen* des Ensemble Phoenix Basel während der Herbstferienwoche 2019 nachgegangen. Die Kinder haben dabei die Rolle von Komponisten übernommen und ihre klanglichen Vorstellungen in Form grafischer Partituren zu Papier gebracht. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung sind vielfältige Kompositionen, die durch das Ensemble Phoenix Basel in einem Konzert uraufgeführt wurden. Die vorliegende Publikation zeigt eine Auswahl der entstandenen Partituren. * Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Lauftext lediglich die männliche Form verwendet. Sie bezieht sich auf Personen aller Geschlechter. Ein Experiment 2 3 noch ausdrucksstarke Skizzen. Das Spiel mit Zufall und Intention, das sich bei vielen experimentellen Druckverfahren so gut anbietet, diente als Ideengeber, falls klangliche Vorstellungen einmal ausblieben.

Die Nutzung der Drucktechnik für die Herstellung von grafischen Partituren liess überdies interessante Zusammenhänge aufscheinen: Wird bei einem Hochdruck, hinsichtlich der späteren musikalischen Interpretation, paradoxerweise die Stille rausgeklopft? Oder beim Tiefdruck: Sind die per Hammer geschlagenen Einbuchtungen schon Taktgeber für das spätere Stück? Inwiefern sind die kratzenden, stechenden, schürfenden Bewegungen der Radiernadel auf der Druckplatte schon vorgängig als Geräusch in der Partitur deponiert?

Das offene Auge, das offene Ohr fördert hier neue Einsichten zutage. Wie so oft bei partizipativen Vermittlungsprojekten mit Kindern und Jugendlichen werden die eigenen Seh- und Hörgewohnheiten auf produktive Weise hinterfragt; neues Wissen entsteht. Im Idealfall gehen nicht nur die Kinder und Jugendlichen auf verschiedenste Weise inspiriert aus dem Projekt heraus, sondern alle involvierten Parteien, seien es Musiker, Vermittler, Eltern oder Subventionsgeber. Vorgängige Bedenken, dass die Kinder nur schwerlich ins Thema finden würden, erwiesen sich als unbegründet. Der Einstieg war unwiderstehlich: Die Kinder fertigten schnelle Zeichnungen an und wurden aufgefordert, sie den Musikern zum Spielen vorzulegen. Ungläubig, kopfschüttelnd, beinahe empört gaben sie ihre Blätter ab. Die Ernsthaftigkeit, mit welcher die Interpretation erfolgte, die Komik, welche etwa der musikalischen Umsetzung einer geschlängelten Linie entsprang und die blitzhafte Erkenntnis, wie offensichtlich die Verbindung von Klang und Bild eigentlich ist – das alles entwickelte sich zu einem langsam ansteigenden und äusserst ansteckenden Crescendo: Zeichnung folgte auf Zeichnung, alle wollten ihre eigene Vertonung hören und eine Stunde lang hörte man aus der Druckstelle wenig Musik, aber glucksendes, vergnügtes Lachen.

Dieser musikalische Echoraum – notabene ein Geschenk für jeden Kunstschaffenden: Jemand interpretiert deine Zeichnung, gibt sie dir als Klang zurück – wurde von den Musikern des Ensemble Phoenix Basel auf einfühlsame und ideenreiche Weise geleistet. Dass der Echoraum dann letztlich auf eine so interessierte Zuhörerschaft stiess – zum Konzert kamen über siebzig Gäste – liess auch uns ein bisschen staunen. Mathis Rickli Druckstelle Basel